Der OGH stellte in einer kürzlich ergangenen Entscheidung fest (OGH 19.12.2019, 6 Ob 113/19i), dass im Falle des Erlöschens einer Gesellschaft während eines Beschlussanfechtungsverfahrens, das Rechtsschutzinteresse des anfechtenden Aktionärs – welches normalerweise ohne Nachweis angenommen wird - von diesem in derartigen Konstellationen darzulegen ist. Im vorliegenden Fall wurde die Anfechtungsklage mangels Rechtsschutzinteresse abgewiesen.
Im vorliegenden Fall focht die Klägerin als Aktionärin der Gesellschaft die gefassten Beschlüsse, mit denen vier Aufsichtsratsmitglieder gewählt wurden, mit dem Argument an, dass durch die (erneute) Wahl von vier Männern in den Aufsichtsrat die Bestimmung des § 87 Abs. 2a AktG verletzt worden sei, da bei der Wahl des Aufsichtsrates Aspekte der Diversität im Hinblick auf die Vertretung beider Geschlechter angemessen zu berücksichtigen seien. Kurz nach Erhebung der Anfechtungsklage wurde die betreffende Gesellschaft mit einer im niederländischen Handelsregister eingetragenen Gesellschaft als übernehmende Gesellschaft gem. EU-VerschG verschmolzen.
In der o.a. Entscheidung führte der OGH aus, dass zur Erhebung der Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage grundsätzlich kein individuelles Rechtsschutzbedürfnis erforderlich ist. Am Anfechtungsinteresse fehlt es jedoch ausnahmsweise dann, wenn die Nachprüfung des Hauptversammlungsbeschlusses für niemanden mehr rechtlich bedeutsam sein kann. Erlischt während eines Beschlussanfechtungsprozesses die betroffene AG, so versteht sich das Rechtsschutzinteresse des Anfechtungsklägers nicht mehr von selbst, denn die gerügte Gesetz- oder Satzungswidrigkeit bezieht sich auf die Verhältnisse einer AG, die es nicht mehr oder zumindest nicht mehr in der zum Zeitpunkt der Beschlussfassung vorhandenen Gestalt gibt. Das Rechtsschutzinteresse entfällt, sofern der angefochtene Beschluss nicht in der übernehmenden Gesellschaft fortwirkt, was im Einzelfall zu prüfen ist. Das gelte im Kern auch für die Nichtigkeitsklage.
Im vorliegenden Fall fehlte nach Ansicht des OGH ein konkretes Vorbringen, inwiefern der angefochtene Beschluss fortwirke; die bloße Möglichkeit, dass dies der Fall sein könnte, reiche zur Darlegung eines konkreten Rechtsschutzbedürfnisses nicht aus. Der OGH entschied daher, dass aufgrund des Erlöschens der Gesellschaft infolge der Verschmelzung das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis der Aktionärin nicht mehr vorhanden war und wies die Anfechtungsklage ab.
Praxistipp
Bei – auch bereits anhängigen - Anfechtungsprozessen ist darauf zu achten, dass im Falle des Erlöschens der betreffenden Gesellschaft das Rechtschutzinteresse des anfechtenden Aktionärs ausnahmsweise darzulegen ist. Dafür ist insbesondere darzulegen, inwiefern der angefochtene Beschluss der nicht mehr existenten Gesellschaft auch weiterhin von rechtlicher Bedeutung ist. Allenfalls ist auch die Parteienbezeichnung zu berichtigen (etwa im vorliegenden Fall der Gesamtrechtsnachfolge) bzw. das Begehren auf Kosten einzuschränken, um die Klageabweisung zu vermeiden.